Als ich jünger war, zog ich für eine Weile an den Stadtrand, ja fast schon aufs Land. Das Rebhäuschen, das ich für den Winter günstig mieten konnte, stand am Ende einer Siedlungsstrasse. Der alte Weinberg war restlos überbaut: ein Einfamilienhaus neben dem andern; dahinter begann ein Wald. Hier also wollte ich ein Buch schreiben – einen genialen Bestseller, versteht sich! Auch unsereins muss vorsorgen fürs Alter.
Warten, wandern. Allein, die Genialität liess auf sich warten. Ich schrieb zwar gleich am ersten Abend einen tollen Anfang. Doch kaum hatte mein Held das Licht der Romanwelt erblickt, machte er, was er wollte. Und die Story alles, bloss keinen Sinn. Was tun? Ich löschte das Licht und ging spazieren. Nicht in den düsteren Wald, sondern lieber entlang dieser langen, schlafenden Strasse. Ich wanderte bis Hausnummer hundert, dann zurück an den Schreibtisch. Und das zehn Mal pro Nacht.
Lichtwerdung. So ging es den ganzen November, den halben Dezember. Ich schrieb und wanderte und kam doch nicht vom Fleck – bis eines Nachts etwas Kurioses geschah: Ich hatte in meiner Kapuzenjacke soeben mein Rebhäuschen verlassen, als auf dem Nachbargrundstück Licht aufflammte. Ein winziger Scheinwerfer war es, der aus dem Stand an die dreissig Laufmeter Strasse ausleuchtete – mich inklusive. Ich kam mir vor wie ein Filmstar, winkte in die unsichtbare Kamera und marschierte heiter drauflos …
Wunder um Wunder. Und siehe, beim nächsten Haus wiederholte sich das Wunder! Beim übernächsten Haus wieder und wieder und wieder! Wo immer ich den Fuss, meine alten Moonboots hinsetzte, Schritt für Schritt wurde es Licht! So als sässe hinter jedem dieser stockdunklen Fenster ein kleiner Gott, der sich nur um mich sorgte: um das Wohlergehen dieses einsamen Menschleins da draussen. Prompt fiel mir nicht nur das nächtliche Wandern leichter, nein, auch das tägliche Schreiben. Beschwingt hetzte ich meinen Helden durch eine atemberaubende Handlung, und als es März wurde, die Uhren auf Sommerzeit wechselten, war das Meisterwerk fertig. Wie auf Befehl quittierten auch die vielen Bewegungsmelder ihren Dienst.
Lob der Nachbarn. Bevor ich diese gastliche Strasse verliess, steckte ich Dankeskarten in alle Briefkästen. Ja, diese umsichtigen, wenn auch unsichtbaren Nachbarn hatten mir den Weg gewiesen! Hatten es Nacht für Nacht Licht werden lassen. Bis sie sahen, dass es gut war und alles wieder seine Ordnung hatte.