Meinung 09. Januar 2017, von Richard Reich

Vom weitsichtigen Umgang mit inneren Unruhen

Schöpfungen

Richard Reich wird nervös – und will etwas dagegen tun. Sein Versicherungsberater hat Abhilfe.

Neulich sass ich bei «Starbucks». Ich war allein in dem Lokal mit meinem Milchkaffee und einem Kellner, der mit dem linken Zeigefinger auf die Theke trommelte. Mit dem rechten Daumen suchte er sein Telefon nach einem Ausweg ab. Vor dem Fensterpassierten hektische Passagierzüge im Siebensekundentakt. Was Wunder, wurde auch ich immer nervöser. Ich tat, was ich in Krisen immer tue: Ich rief meinen Versicherungsagenten an, einen kompetenten Mann namens Rubino.

«Wo brennts?», fragte Rubino und kicherte über seinen Insiderwitz. Ich beschrieb ihm mein aktuelles Problem, er kapierte die Dringlichkeit der Lage, eine halbe Stunde später sass er an meinem Café-Tisch, vor sich ein dickes Dossier. Er blätterte und blätterte, seufzte schliesslich und sprach: «Zuerst die schlechte Nachricht:Der vorliegende Sachverhalt ist durch Ihre Policen nicht abgedeckt.»

Ich nickte beklommen, konnte seinen Standpunkt aber nachvollziehen. Tatsächlich war meine plötzliche Rastlosigkeit kein Fall für die Krankenkasse, auch fiel sie nicht unter die alternativmedizinische Zusatzver­sicherung, geschweige denn unter Hausrat oder Hagel. Ebenso wenig hatte meine akute Aufgeregtheit einen Zusammenhang mit dem in unserer Gegend neuerdings erhöhten Erdbebenrisiko, und sie war auch keine direkte Folge des im Alpenraum tauenden Permafrosts – ­eine Gefahr, die übrigens von den meisten Menschen unterschätzt wird: Laut Rubino bin ich erst der vierte Schweizer, der sich dagegen versichern liess. Und das, obwohl in unserm Land 42 Prozent der Wohnhäuser an Südhängen stehen!

«Die gute Nachricht», fuhr Rubino fort, indem er meine angstkalte Hand tätschelte, «wir haben ein, hihi, brandneues Produkt, wie geschaffen für besonders sensible Mitbürger!» Gleich einem Magier zauberte er einen Prospekt aus seiner Mappe. Dessen Titelblatt zeigte einen Geschäftsmann, der einsam in einem Flughafenterminal sass. Darunter stand in Grossbuchstaben: «INNERE UNRUHEN? Schützen Sie sich mit unserer neuen Seelenheil-Versicherung!» Offenbar stammte diese sagenhafte Dienstleistung aus den USA und war ursprünglich für Ausschreitungen von Hooligans oder Terroristen im Inneren von Ge­bäuden («inner unrest») gedacht. In Europa hingegen sei, sagte Rubino, die Unruhe in den Köpfen und Herzen der Menschen der weit grössere Markt. «Für zwölf fünfzig pro Monat sind Sie dabei!» Natürlich war ich begeistert. Sicherheitshalber schloss ich die Police gleich auf Lebenszeit ab.

Kolumne von Richard Reich und Tim Krohn

Seit Anfang 2017 schreiben abwechselnd die Autoren Richard Reich zum Thema «Schöpfungen» und Tim Krohn zum Thema «Kindermund».

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