In meinem Schreibatelier hängt eine Dartscheibe, auf die ich manchmal Pfeile werfe. «Darf ich auch mal?», fragte Bigna durchs offene Fenster. Aus dem einen Mal wurden zwei Dutzend, denn Bigna, die sonst sehr geschickt ist, traf nicht – selbst dann nicht, wenn ich die Scheibe auf den Boden legte und Bigna auf den Tisch hob, sodass sie die Pfeile nur noch fallen lassen musste.
«Komm, nochmal, noch ein einziges kleines Mal», bettelte ich – verkehrte Welt –, aber Bigna hatte die Lust verloren. «Vielleicht ist heute einfach einer dieser Tage», sagte ich im Versuch, sie zu trösten. Denn mein Versuch, zu einer halbwegs fruchtbaren Schreibidee zu kommen, war auch schon der dritte nach zwei verworfenen Fragmenten, und Renata, meiner Frau, war ein Kissen auf das Kästchen mit den Hängenelken am Balkon gefallen, die zwei schönsten Knospen waren abgebrochen.
«Na ja, Nelken wachsen nach, und Ideen hat man auch viele», wandte Bigna ein. «Wenn ich dagegen nicht treffe, dann treffe ich nicht, und stell dir vor, es ist keine Zielscheibe, sondern ein Bär! Dann bin ich jetzt tot.» «Wie ist es denn mit deiner Steinschleuder? Mit der triffst du doch bestimmt.» Aber die hatte sie inzwischen verloren, oder einer der Jungen hatte sie ihr gestohlen. «Dazu kommt», sagte sie finster, «dass ich vorhin aus Versehen eine Hummel zertreten habe. Sie war zwar schon tot, aber ich hatte sie extra auf der Treppe liegenlassen, weil sie so schön weich aussah. Als ich wieder runterkam, hatte ich sie vergessen, und jetzt ist sie tot und platt.»
«Unsere Hängenelken kommen auch nicht nochmal», erwiderte ich. «Wir versuchen jedes Jahr, sie zu überwintern, aber sie bekommen immer Mehltau.» «Das ist, weil ihr sie giesst, man darf nur ein bisschen Schnee drauftun», wusste Bigna. Renata hatte gehört, die echten Engadiner Hängenelken seien ausgestorben, und die neuen Züchtungen taugten schlicht nichts, aber Bignas Rat warf doch einen Hoffnungsschimmer in diesen trüben Tag. Und als sie mit geschlossenen Augen nochmals warf, steckte der Pfeil zwar nicht, doch wenigstens blieb er auf der Scheibe liegen.
