Jedes Jahr, kurz vor Advent, wird die Strasse unseres Dorfs mit leuchtenden Sternen geschmückt. Das erledigt ein unermüdliches Trüpplein altgedienter oder pensionierter Gemeindearbeiter und Handwerker, die dafür sehr aufwendig auf Leitern herumkraxeln und durch Fensternischen klettern. Als ich gestern aus dem Haus trat, um wie üblich die Post zu holen, war es wieder so weit, und unter der grossen fahrbaren Leiter stand Bigna und sah mit offenem Mund zu.
«Das ist der schönste Beruf der Welt», sagte sie, als sie mich entdeckte. «Wenn ich gross bin, hänge ich auch Sterne auf.» «Ja, diese Sterne machen etwas her», gab ich zu. «Nur leider ist es kein Beruf, die Männer machen das ehrenamtlich.» «Was heisst das: ehrenamtlich?» «Dass sie kein Geld dafür bekommen.»
«Im Gegenteil», sagte Jon, der Schreiner, der den Trupp anführte. «Die Sterne haben wir aus der eigenen Tasche bezahlt.» Und Duri rief von oben, von der Leiter herab: «Wenn ich herunterfalle, komme ich dafür direkt in den Himmel.» Die Männer lachten, nur Bigna fragte sehr ernst: «Was ist, wenn du auf mich fällst? Komme ich dann auch in den Himmel?»
Inzwischen hatte sich eine ganze kleine Schar von Zuschauern versammelt. «Na ja, wäre da nicht die Erbsünde», flachste einer, offenbar war das eine Anspielung, denn diesmal lachten nur einige Auserwählte. Rudolf, der Sattler, flüsterte mir ins Ohr: «Bignas Vater war nicht der Sauberste.» Ein anderer hatte Duri inzwischen geraten, sich freiwillig hinunterzustürzen: «Bei deinem Lebenslauf ist das ein Schnäppchen.» Aber Bigna beharrte auf einer Antwort, und als sie sie nicht bekam, wurde sie böse, trat gegen die Leiter und rief:«Ihr dürft nicht lachen. Das ist wichtig. Wenn ich nicht in den Himmel komme, will ich überhaupt nicht sterben.»
Ich kauerte zu ihr nieder und fasste ihre Hände. «Ich bin sicher, dass du in den Himmel kommst», sagte ich ehrlich. «Ich wüsste nicht, wer sonst. Du wärst ein wunderbarer Engel. Trotzdem hoffe ich, du bleibst noch ganz lange bei uns.» «Das hoffe ich auch», sagte sie. «Wer weiss nämlich, ob die Sterne im Himmel so schön sind wie unsere.» Einer der Zuschauer, der pensionierte Dorfpfarrer, erzählte ihr daraufhin etwas vom Licht Gottes, von dem diese Sterne allenfalls schäbige Vorboten seien. Doch Bigna schüttelte schon den Kopf, während er noch redete. Danach zeigte sie hoch zu jenem Stern, der inzwischen über unseren Köpfen hing, und sagte: «Warte, bis Jon den Strom anstellt.»