Heute sass Bigna mit einem Schild auf dem mannshohen Schneehaufen vor der alten Post in der Sonne. Auf dem Schild stand «da fittar» – zu vermieten. Ich lachte. «Warum sollte jemand den Haufen mieten wollen? Um runterzurutschen?» «Darin kann man wohnen», erklärte sie, «sobald jemand ihn mieten will, grabe ich eine Höhle und stelle ein Bett rein.» «Du Knirps stellst ein Bett rein?» «Na ja, du», sagte sie, «willst du den Haufen mieten?» «Eigentlich gern», antwortete ich, «nur um zu sehen, wie du es schaffst, ein Loch zu graben, das gross genug ist, dass ich darin schlafen kann.» «Ich dachte natürlich, du hilfst mir.» Sie streckte die Hand aus: «Zehn Franken.» Doch da kamen die Gemeindearbeiter mit Fräse und Lastwagen, um den Schneehaufen abzutragen, und schickten uns weg.
Um Bigna zu trösten, kaufte ich uns im Kiosk einen Topf Eis. Das löffelten wir am Fenster und sahen zu, wie der Schnee in hohem Bogen auf den Laster flog. «Vielleicht kann ich Chatrina überreden, dass wir mein Zimmer vermieten, ich schlafe sowieso immer in ihrem Bett», sagte Bigna nachdenklich. Chatrina ist ihre Mutter. «Braucht ihr denn Geld?» «Nicht, solange du das Eis bezahlst. Aber es ist eben schön hier. Es sollten viel mehr Menschen bei uns leben.»
Da gab ich ihr recht. Nachdem wir eine Weile still gelöffelt hatten, fragte Bigna: «Warum leben denn nicht mehr hier? Chatrina sagt, es werden sogar immer weniger.» «Ja, das stimmt. Für die meisten Menschen ist die Val Müstair einfach zu weit weg.» «Weit weg wovon denn? Es ist doch alles ganz nah. Wir haben die schönsten Schneehaufen, wir haben den Bach, die Pferdchen, die Eisbahn, den Kiosk, die Hirsche, die Sonne, den Himmel und noch mehr Sonne. Schön, manchmal muss man ein klitzekleines Viertelstündchen Bus fahren, zum Skifahren etwa, aber wenn nicht gerade der grantige Pedro steuert, wird einem überhaupt nicht schlecht.» Vor Eifer glühte ihr Gesicht. Ich hob die Schultern. «Zu weit von dort, wo die Leute ihr Geld verdienen.» «Aber wer braucht denn Geld», wunderte sie sich, «bei uns braucht man kein Geld. Und wenn, dann vermietet man eben etwas.»