Ich öffnete die Tür. Muffige Luft schlug mir entgegen. Ich betätigte einen Schalter. Schlagartig lag die Wohnung im kalten Ganglicht vor mir: wahllos zusammengewürfelte Möbel, bedeckt mit lumpigen Kleidern. Etwas stimmte hier nicht … Ich klaubte mein Handy hervor und tat einen Anruf. Zwanzig Minuten später war die Spurensicherung da.
Als Erstes nahmen sie sich die Küche vor. Der Kühlschrank war leer bis auf eine Zwiebel, die schon Triebe bildete. In den Schränken: ein paar Vorratsdosen Ravioli, ein Karton mit verjährtem Migros-Kamillentee. Aus einer Müsli-Packung flatterte eine Motte. Bald wechselten die Fahnder in die Stube. Einer suchte den Holzboden nach Fasern ab. Sein Kollege blätterte derweil die Bücher durch: lauter billige Krimis. In einem dicken Alpenblumen-Lexikon allerdings kam eine mysteriöse Postkarte zum Vorschein. Die Vorderseite zeigte eine namenlose Kirche, und aufder Rückseite stand: «Was willst du im Leben?» Weder Adresse noch Absender. Die Handschrift hingegen kam mir bekannt vor.
«Hierher!», tönte es jetzt aus dem Bad. Dort war eine Forensikerin im Dunkeln mit einer Infrarotlampe zugange. «Da», sagte sie und wies auf fluoreszierende Flecken im Waschbecken. «Mein Blut?», flüsterte ich panisch. «Hmm», murrte die Technikerin, «das wird der DNA-Abgleich zeigen. Den rostigen Rasierer und die abgekaute Zahnbürste habe ich schon mal eingesackt.» Damit verschwand sie Richtung Labor.
Stunden später hielten ihre Kollegen die ersten Fakten fest: Erstens, diese Wohnung sei zuletzt eiligst verlassen worden (ungemachtes Bett, herausgerissene Schubladen, eine Tasse mit kaltem Kaffee bei der Garderobe). Zweitens, der Bewohner müssemännlich sein: kaum saubere Unterwäsche im Schrank, dafür sechs Paar teure Laufschuhe (Grösse 45) plus in der Küche der Bestseller «Hauptmahlzeiten für Anfänger». Drittens sei dieser Mann wohl Protestant: Im Nachtkästchen lägen eine Zwingli-Bibel ohne Fingerabdrücke und ein Tagebuch voller Selbstzweifel.
In diesem Moment klingelte mein Handy, es war die Forensikerin: «Also,Blut und Speichel stammen hundertprozentig von ein und derselben Person. Ausserdem haben wir Sie auf diversen Überwachungsvideos desHauswarts identifiziert. Finden Sie sich damit ab: Sie wohnen hier!» Peinlich berührt verabschiedete ichdie übrigen Leute von der Spurensicherung mit einem dicken Trinkgeld. Dann setzte ich mich in die Stube und dachte: «Offenbar sollte ich in Zukunft etwas häuslicher werden.»