Heute brachte ich Bigna zum Weinen. Renata und ich hatten einen Ehekrach. Während das Baby glucksend am Boden spielte, brüllten wir uns an. Früher war sowas Renata noch peinlich gewesen, ja, die Heftigkeit unserer Auseinandersetzungen hatte uns gar zur Paartherapeutin geführt. Die hatte gelacht. «Wissen Sie was? Mein Mann und ich haben auch immer so laut gestritten. Unsere befreundeten Paare dagegen stritten sich nie. Ich war sicher, etwas stimmt mit uns nicht. Bis ich eines Tages feststellte, dass alle unsere Bekannten inzwischen getrennt waren, nur wir nicht.»
Renata sah darin eine Art «Lizenz zum Brüllen», sie wurde mit jedem Streit lauter und begann es offensichtlich zu geniessen. Für das Baby waren unsere gelegentlichen Ausraster ganz normal, während ich sie als notwendiges Übel auf mich nahm.
Bigna konnte das nicht. Ich bemerkte sie erst, als Renata unseren Streit unterbrach und ruhig sagte: «Bigna ist da.» Zitternd stand sie in der Tür, vollbepackt mit Büchern, die sie geborgt hatte. «Komm rein», sagte ich, doch sie schüttelte den Kopf und blieb auf der Schwelle, bis ich ihr die Bücher abnahm und mich mit ihr vors Haus setzte.
Nach einer Weile sagte sie: «Du darfst nicht weggehen.» «Das habe ich auch nicht vor», versicherte ich, «es ist mehr so, dass Streiten weh tut, aber nicht Streiten manchmal noch viel mehr.» Ich erzählte von der Therapeutin. Bigna begann zu weinen, zuerst still, dann immer heftiger. «Mamma und Bap haben auch gebrüllt», erzählte sie endlich, «bis ich geschrien habe, hört auf! Da hörten sie auf, und Bap verliess uns. Daran bin also ich schuld, ich Halunkin.» Der romanische Ausdruck, den sie verwendete – baronessa futüda, die futsche Baronin –, war so witzig, dass ich ein Lachen nicht verkneifen konnte.
«Ganz bestimmt bist du nicht schuld», versicherte ich. «Eher ist es so, dass manchmal selbst Schreien nichts mehr nützt. Und ja, es kann auch sein, dass man mit dem Geschrei etwas kaputt macht.» «Bei mir hat es etwas kaputt gemacht», sagte Bigna. Ich dachte: Ja, bei mir auch. Aber noch verkniff ich mir die Tränen.