Als ehemaliger Gefängnisseelsorger habe ich bis heute Kontakte zu Straffälligen, die ich von früher kenne. Kürzlich besuchte ich einen 80-jährigen Mann in Untersuchungshaft. Er war nach mehreren Jahren in Freiheit wieder straffällig geworden. Ich fand ihn zerknirscht vor. Er schämte sich,seinen Lebensabend möglicher-weise in Haft verbringen zu müssen. Und er litt unter dem eintönigen Gefängnisalltag. Im Gespräch schlug ich ihm vor, er könne aus seiner Zelle eine Mönchszelle machen. Das bedeutet, dem Tag eine Ordnung zu geben und ihn mit einem meditativen Einstieg zu beginnen – wie im Kloster. Ich gab ihm dazu die Bolderntexte, das sind tägliche Besinnungen zu Bibeltexten, die ich früher mitgestaltet habe. Es hat mich sehr ermutigt, dass der Mann den Impuls aufnahm und nun öfters morgens einen Text liest. Ab und zu schickt er mir seine Gedanken dazu. Darüber freue ich mich sehr. Ich hoffe, es hilft ihm, der schon 30 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht hat, die schwere Zeit durchzustehen.
Patrice de Mestral ist Theologe. Er war Leiter des Evangelischen Tagungszentrums Boldern und Gefängnisseelsorger