Der Weg zu unserem Arbeitsplatz ist in der Eingangshalle des Spitals mit «Beatmungszentrum» angeschrieben. Unsere Überwachungsstation, auf der wir normalerweise die Frischoperierten beobachteten, mussten wir innert weniger Tage in eine funktionierende Intensivstation IPS mit Beatmungsplätzen umrüsten.
Am Eingang wird mein Badge kontrolliert, danach desinfiziere ich meine Hände. Beim Reiben der Hände höre ich eine Männerstimme am Telefon: «Ja, sie hat nochmals ihre Augen geöffnet, hat gelächelt. Ich habe sie gestreichelt, ihr ein Lied vorgesungen, dann ist sie für immer eingeschlafen.»
Gerade musste dieser Mann von einem ihm nahestehenden Menschen Abschied nehmen, das Telefon ist jetzt die einzige Verbindung nach draussen, um die traurige Nachricht zu überbringen. Es darf nur ein Angehöriger am Bett eines Sterbenden sein. In diesem Moment wurde mir wieder bewusst, wo ich war und welche Arbeit ich verrichte.
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Ich habe Nachtschicht. An der Schleuse zur IPS ziehe ich Handschuhe, Überschurz, Maske, Brille und Haube an, damit ich vom Virus geschützt zu meinem Patienten gehen kann. Es liegen viele Patienten nebeneinander in einem Raum, alle werden sie beatmet. Wenn es still ist, hört man nur das Ein- und Ausatmen der Maschinen. Leise Musik tönt im Hintergrund, um das Geräusch erträglicher zu machen. Anfangs hatte ich Respekt davor, die verschiedenen Typen der Beatmungsmaschinen kennenzulernen, doch wir Pflegenden und Ärzte konnten unser Wissen stets austauschen und teilen.
Eine unsagbar wertvolle Solidarität und Wertschätzung unter Pflegenden und Ärzten ist spürbar, jeder ist in dieser Situation auf jeden angewiesen. Bei den langen Einsätzen von bis zu 12,5 Stunden werden wir durch den Arbeitgeber unterstützt, indem wir Liegen, auf denen man sich ausruhen kann, heisse Suppen und Sandwiches oder verschiedene Getränke zur freien Verfügung erhalten. Bei den Patienten werden die Atmung, die Blutgase und die Vitalparameter ständig am Monitor überwacht, sie werden in ihren Luftbetten umgelagert und gepflegt, dabei redet das Personal mit ihnen, auch wenn sie tief schlafen. Medikamente an verschiedenen Perfusoren und Infusionen unterstützen den Patienten.
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Wenn ich ans Bett eines Patienten gehe, dann denke ich immer positiv über seinen Verlauf, auch wenn seine Parameter und Werte in seinem Blut nicht gut aussehen. Dieses positive Denken am Bett und das Reden mit dem Schlafenden gibt mir selbst Zuversicht und ich denke, dass dies auch zur Genesung beiträgt. Die Arbeit am Bett ist manchmal stressig, wenn ein Patient plötzlich fiebert und krampft, die Sauerstoffsättigung abfällt und der Kreislauf nach minimer Lagerung einbricht. Nachts um drei Uhr haben wir meinen Patienten nach einem Sättigungsabfall bronchoskopiert, danach ging es ihm wieder deutlich besser.
Die Patienten sind durchschnittlich 16 Tage künstlich beatmet. Angehörige können sich täglich während zweier Stunden telefonisch über den Zustand ihrer Liebsten informieren, die sie wegen der Ansteckungsgefahr nicht besuchen dürfen. Angst und Trauer, Unsicherheit bewegt manchen Angehörigen. Durch ein gutes Gespräch kann ich auch diese Furcht etwas eindämmen. «Richten Sie bitte meinem Bruder einen lieben Gruss vom Dorli aus», ist die Bitte und so erzähle ich es dem schlafenden Kranken. Wer weiss, was in seinem Unterbewusstsein ankommt?
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Nach einigen Freitagen komme ich zurück auf die IPS, dort kann ich meinen Patienten zwar noch beatmet, aber schon wach sehen. Er kommuniziert mit den Augen und wartet geduldig, bis man ihn von der Maschine wegnehmen kann, danach atmet er selbstständig. Diese Momente des Erwachens und Entwöhnens von der maschinellen Beatmung sind für uns Arbeitenden am Bett wunderschön, so können wir einen Menschen langsam wieder ins Leben zurückführen. All die schlafende Zeit muss der Patient verkraften, es liegt noch ein holpriger Weg bis zu seiner vollen Genesung vor ihm.
Beim Verlassen des Spitals lese ich die Kreidenschrift auf dem Asphalt «DANKE», umrahmt von einem Herzen. Solche Zeichen zeigen uns allen die Verbundenheit aller unter uns auf, die sich – von wo aus immer – für ihre Mitmenschen einsetzen.