Wie schafft es ein Pfarrer in der Corona-Krise, Menschen zu begleiten und Trost zu spenden?
Indem ich täglich dazulerne. Nach der Absagewelle bei den Veranstaltungen ist es enorm wichtig, dass wir Pfarrpersonen jetzt in unserer Gemeinde präsent sind. Nicht die Absagen sollen im Vordergrund stehen, sondern die Ersatzangebote. Wir müssen vom schweizerischen Perfektionismus wegkommen, erfinderisch und offen sein für neue Ideen und Formen der Gemeinschaft.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf das Gemeindeleben aus?
Es ist speziell, wenn man erstmals nach 23 Jahren kein Konfirmationslager machen kann und alle Besuche bei älteren Leuten auf Eis gelegt sind. Insbesondere die physische Kontaktsperre zu den Leuten in den Alters- und Pflegeheimen sowie den Spitälern geht ans Herz. Wichtig sind jetzt gutes Krisenmanagement sowie klare Kommunikation nach innen und aussen. Ich habe gemerkt, dass ich im Moment nicht perfekt sein muss, sondern einfach mal unkonventionell ausprobieren darf. So haben wir beispielsweise im Rahmen einer Skype-Konferenz Statements von Pfarrpersonen zur Corona-Krise aufgenommen und diese ins Netz gestellt. Wir wollten damit zeigen, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer für die Menschen da sind, und (Gott-)Vertrauen vermitteln.
Die Pfarrpersonen sind jetzt besonders gefordert. Welche Erfahrungen machen Sie und was können Sie ihren Kolleginnen und Kollegen empfehlen?
Die Kirche hat mit dem Coronavirus ihr Grounding erlebt. Als Pfarrpersonen müssen wir nun neu herausfinden, was trotz aller Einschränkungen durch das Virus noch möglich ist. Die COVID-19-Verordnung 2 des Bundes erlaubt beispielsweise Beerdigungen nur noch im engsten Familienkreis. Das ist für die Betroffenen zumeist sehr hart. Abdankungsfeiern sind zwar nach wie vor in der Friedhofskapelle oder draussen möglich – aber ausschliesslich im Rahmen der bundesrätlichen Bestimmungen.
Und dann ist Fantasie und Engagement gefragt.
Auf jeden Fall. Man schaut situativ, was die Leute brauchen. Wir haben in Zollikon die Abdankungshalle zu einem Gedenkort umfunktioniert, in der man mit dem nötigen Abstand eine Feier mit wenigen Personen abhalten kann. Ganz toll haben die Friedhofsgärtner auf die neue Situation reagiert, indem sie mit Pflanzen und Dekor in der Halle eine wunderbare Atmosphäre kreierten. Die dort platzierten Urnen bilden eine Schicksalsgemeinschaft. Anfänglich war das für einige Hinterbliebene schwierig, mittlerweile finden sie darin Trost.
Wenn zu viele Personen einer Risikogruppe angehören, ist auch eine Abdankung im kleinen Kreis nicht möglich.
Wenn weder Abdankung noch Beerdigung stattfinden können, wenden wir ein Ritual an, das wir mit den Hinterbliebenen besprochen haben. Es ist wichtig, dass die Hinterbliebenen einen Todesfall zumindest mit einem Ritual abschliessen können. Erst dann kann der Trauerprozess einsetzen.
Wie erleben Sie die Corona-Krise als Seelsorger?
Es ist eine spannende Zeit. Man muss als Pfarrpersonen erfinderisch sein und sich überlegen, was trägt und was hilft. In Zeiten von Corona scheint mir die frühchristliche Tradition der Hausgemeinschaft über digitale Medien ein interessanter Ansatz zu sein. Ich denke, dass uns bei aller Not die Pandemie bezüglich Digitalisierung ein grosses Stück voranbringt.
Apropos Not: Sind Ihnen auch Fälle von häuslicher Gewalt bekannt?
Erfreulicherweise ist mir bis jetzt kein Vorfall zu Ohren gekommen. Vermutlich trägt die komfortable Wohnraumsituation in Zollikon dazu bei, dass man sich leichter aus dem Weg gehen kann. Hingegen stelle ich fest, dass das Bedürfnis für Paargespräche zugenommen hat. In einer Woche hatte ich drei Gespräche mit Paaren, bei denen plötzlich ein Beziehungsproblem aufgetreten ist. Grundsätzlich ist es ja positiv, wenn sich Menschen frühzeitig Hilfe holen bei Personen, zu denen sie Vertrauen haben. Das Coronavirus spüren übrigens auch Organisationen wie die Dargebotene Hand.